Ein letzter Bericht vor der Abreise

Veröffentlicht auf von liviinbeirut

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Meine letzten Erzählungen nach der Abreise meiner Familie sind nun eine Weile her und so nutze ich die nun angebrochene Ferienzeit vor meiner Abreise dazu, die vergangenen Wochen zu resümieren. Zu berichten gibt es über viele Vorträge, Ausflüge und sonstige Ereignisse.

 

„Die Zunge wird nur über die Ohren klug“ (Rafik Shami)

 Das universitäre Leben


Klüger wurde ich in diesem Semester, wie meinen Berichten zu entnehmen ist, nicht ausschließlich aufgrund von Seminaren, eigenen Präsentationen und Hausarbeiten, sondern zu einem großen Teil auch durch das breite Angebot an Vorträgen. Das Thema der Vortragsreihe dieses Semesters war Christlich-Muslimischer Dialog und nach Dr. Edward Alam, der über päpstliche Stellungnahmen zu diesem Thema referierte, war es nun an der Zeit, dass Dr. Johnny Awwad (unser NT-Professor) gemeinsam mit dem shi‘itischen Gelehrten des Sapiential Knowledge Institute for Religious and Philosophical Studies Sayyed Hussein Ibrahim eine Debatte über Offenbarung in den beiden Religionen führten. Es begann der shi‘itische Gastgeber, indem er die verschiedenen Levels des göttlichen Wortes im muslimischen Glauben und die Offenbarung dieses Wortes  präsentierte. Leider sprach er in einem sehr gehobenen Arabisch, was die Übersetzung für seine Studenten erschwerte. Was bei uns am Ende ankam, waren wohl nur Bruchteile des eigentlichen sehr komplexen Inhalts seiner Rede. Er sprach über insgesamt 4 Levels: (1) ein in Gott inhärentes und nirgendwo sonst präsentes Wissen über die Welt; die sogenannte „internal speech“, nicht geschaffen, sondern ewig (gegen den Glauben der Mutaziliten). (2) Der Qur’an auf der „wohlverwahrten Tafel bei Gott“, die in „keinerlei Art verändert werden“ kann. (Sure 85,22) als einfache, ultimative Wahrheit, unkomplex und ohne Details und als Mutter aller Bücher nicht in einer bestimmen Sprache (arabisch), sondern in der göttlicher Ausdrucksform. (3) Um diese ultimative Wahrheit für den Menschen verständlich zu machen, wurde sie auf dem dritten Level in Wörter und Sprache konvertiert. Es handelt sich um eine direkte Hinabkunft des Qur’ans in unsere Welt. (4) Das vierte Level der sogenannten progressiven Hinabkunft ist eine Weiterentwicklung des dritten Levels, in der der Qur’an mit Details ausgestattet wird, die hauptsächlich dazu dienen, im Menschen ein Gefühl von Moral und Ethik zu generieren und praktische Konflikte und Probleme in der Welt zu lösen. Hier handelt es sich im eigentlichen Sinne schon um die Interpretation des ursprünglichen Qur’ans.

Besonders fortschrittlich an diesem Konzept empfand ich die Aussage, dass der Qur’an in ursprünglicher Form, als ultimative Wahrheit nicht in Arabisch vorlag, sondern erst später um des Menschen willen in diese Sprache konvertiert wurde. Die Beschreibung eines vierten Levels des Wortes Gottes, nämlich dass der Qur’an wie er uns heute vorliegt, bereits interpretiertes Wort Gottes ist, scheint die Tür  zu wissenschaftlicher Qur’an Exegese und -kritik einen Spalt zu öffnen und gibt Hoffnung für Fortschritte auf diesem delikaten Gebiet. Johnny antwortete mit einer Beschreibung des christlichen Verständnisses der Offenbarung. Im christlichen Glauben seien Offenbarungsgeber, Inhalt der Offenbarung und Medium der Offenbarung ein und derselbe Gott. Es handelt sich um das lebendige und verkörperte Wort Gottes. An dieser Stelle sei die Frage zu stellen, ob die Bibel als christliche Offenbarungsschrift auf derselben Ebene wie das in Christus verkörperte Wort Gottes steht, ob der Text also das geschriebene Wort der göttlichen Essenz sei. Neu an der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus gegenüber der alttestamentlichen Offenbarung sei die Universalität der Offenbarung, die Klarheit der Botschaft und die historische Dimension dieser Offenbarung.  Klar müsse aber sein dass der Kanon des Neuen Testaments bereits eine Interpretation des inkarnierten Wortes durch die ersten Gläubigen ist. Ferner sei zu betonen, dass die Evangelien und Briefe erste Testimonien über diesen Glauben sind, in einem bestimmten Kontext verfasst, immer mit den Inhalten des Alten Testaments im Hinterkopf. Die zwei Horizonte, nämlich des Lebens und der Geschichte von Jesus Christus auf der einen Seite und die Glaubensüberzeugungen der ersten Gläubigen auf der anderen Seite, werden im Text des Neuen Testaments miteinander verwoben. Die Unterschiede zwischen den Evangeliumsberichten zeugen von der Lebendigkeit und Fülle des göttlichen Wortes. Bei den biblischen Texten  handele sich um Lebenszeugnisse im Lichte des historischen Kontexts und durch die Kontemplation dieser Texte war die Kirche stets im Stande Christus selbst zu begegnen. Allein aufgrund der Nähe dieser Texte zur Wahrheit des lebendigen Christus, konnten sie sich überall auf der Welt verbreiten und fanden Anklang. Die Bibel ist also ganz klar zweites Offenbarungsmedium nach dem inkarnierten Logos, Jesus Christus.  Im Unterschied zum muslimischen Offenbarungsbegriff seien die Christen weniger als Buchreligion zu bezeichnen, sondern viel eher als Volk der Person Jesus Christi (rather people of the person of Christ than people of the book).

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Ein weiterer Sprecher aus dem Sapiential Knowledge Institute namens Mahmoud R. Younes  hielt seinen Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe über die Islamische Sicht auf die Evolutionstheorie. Die sehr anspruchsvolle Lesung war aufgebaut in eine ausführliche Beschreibung des Reduktionismus bzw. dem Prinzip der Parsimonie (Ockham) des 19. Jahrhunderts, das sich für die Bevorzugung derer Wirklichkeitstheorien ausspricht, die mit den wenigsten Hypothesen auskommt, d.h. letztendlich die simpelste Theorie mit den wenigsten Parametern darstellt. Im zweiten Teil erfuhr man schließlich, was dies mit dem eigentlichen Thema  zu tun hatte: Was dem Leben des Menschen Wert gibt ist ein Zweck, eine Absicht oder ein Ziel aller seiner Bewegung und Entwicklung und ebenso aller Bewegungen und Entwicklungen der Welt an sich.  Der Wert des Menschen ergibt sich aus der Zustimmung zu eben diesem Zweck und Ziel seiner Existenz. Dieses Ziel religiös gedeutet ist das Zusammensein mit Gott. Religion hat also die Verantwortung zur Sinnstiftung und soll im besten Fall im Menschen das Bewusstsein über Lebenssinn und -zweck wecken. Diese Sicht auf die Dinge der Welt erweitert den reduktionistischen Zugang zur Wahrheit zu einem größeren Weltbild, in dem wissenschaftlicher Fortschritt, sowie religiöse Überzeugungen ihren Platz finden. Für die Suche nach Wahrheit  ist für Mahmoud Younes der Weg des Reduktionismus/ der Parsimonie niemals suffizient. Die Wahrheit ist grundsätzlich komplexer als die Kapazitäten des menschlichen Verstandes erfassen können, doch genau an diesem Punkt ist es nicht geboten, alles auf das simpelste herunter zu brechen und sich auf einige wenige Parameter zu spezifizieren, sondern Perspektiven und Horizonte zu weiten. Das bedeutet sowohl von religiösem als auch von wissenschaftlichem Standpunkt auf Entwicklungen in der Welt zu schauen. Diese Standpunkte müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen. So wird z.B. das wissenschaftliche Kausalitätsprinzip nicht zwangsläufig von der Annahme der Präsenz und des Eingreifen Gottes in unsere Welt verletzt, da Gott eben jenes Prinzip in seinen eigenen Kausalitäten einschließt.

Eine Veranstaltung zu ganz anderem Thema fand anlässlich des armenischen Märtyrertag am 24.04., an dem der Opfer des Genozids von 1915/16 auf türkischem Boden gedacht wird, in der American University of Beirut statt. Sie gab dem Armenier Dr. Ohannes Guekijan und dem Türken Dr. Selim Deringil die Möglichkeit, über das Problem der staatlichen Anerkennung des Genozids von türkischer Seite zu diskutieren. Nicht nur der armenische, sondern auch der türkische Redner stellte sich als Befürworter und mehr noch Kämpfer für jene Anerkennung heraus. Besonders interessant war hier natürlich die Sichtweise des türkisch stämmigen Gelehrten, der von den Problemen und Konflikten seiner Arbeit auf türkischem Territorium sprach. Die Aufarbeitung dieses Themas sei aus zwei Gründen interessant und wichtig: Zum einen natürlich um der Gerechtigkeit der Opfer und deren Angehörigen willen, zum Anderen aber auch weil das Thema indirekt Aufschluss über den tatsächlichen Tatbestand von Redefreiheit und Freiheit der Wissenschaft im säkularen Staate der Türkei gibt.  Eine der wichtigen Zitate, das mir aus seinem Vortrag im Gedächtnis blieb war „If you tell a lie big enough and keep repeating it, people will eventually come to believe it", womit er wohl sehr treffend das Vorgehen der meisten türkischen Geschichtswissenschaftler und Politiker im Umgan mit ihrer Nationalgeschichte beschrieb. Generell ist imemr wieder zu bemerken, welch immense Bedeutung das Thema des Genozids von 1915/16 in diesen Breitengraden einnimmt. 

Zwei weitere größere Themen mit denen ich mich in diesem Semester auf wissenschaftlicher Ebene beschäftigt habe, waren zum Einen meine Hausarbeit über Walter Brueggemann mit dem Untertitel „premises, aims and effects of Old Testament studies in the Middle East“ und zum Anderen eine Interviewreihe im Rahmen meines Kurses „Christian-Muslim Dialogue“. Hier habe ich mich zunächst gemeinsam mit Maurice und Philipp mit einem Text von meinem Münsteraner Professor für Religionswissenschaft Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel zum Thema religiöser Pluralismus besonders in Hinsicht auf das christliche Verständnis von Heil, Inkarnation und Trinität auseinandergesetzt, um in einem zweiten Schritt christliche Gläubige im libanesischen Umfeld auf diese innovativen Konzepte hin zu befragen. Es ging uns dabei vor allem darum, jene pluralistischen Konzepte auf ihre Anwendbarkeit und Realisierbarkeit im täglichen Leben eines „Otto-Normal-Christen“ bzw. im Leben in einer gewöhnlichen christlichen Gemeinde zu testen. Es sind, wie ich finde, sehr spannende Ergebnisse zu verzeichnen, die man in einer kleinen Ausarbeitung von 6 Seiten nachlesen kann. Ich werde sich bei Gelegenheit hochladen.

Insgesamt bin ich auch mit dem Verlauf und den Ergebnissen des zweiten Semesters an der NEST sehr zufrieden. Auch wenn es immer mal wieder ein paar organisatorische Pannen gab, konnte ich in diesen vier Monaten noch einmal sehr viel Wissen und Erfahrungen sowohl im Bereich Theologie an sich, als auch speziell der Theologie des Mittleren Ostens und natürlich im Bereich des interreligiösen Dialoges sammeln.

 

Freizeit – Ausflüge und Unternehmungen


Der lange Bericht über Vorträge und Seminare könnte zu der Vermutung führen, ich hätte mich in diesem Sommersemester übermäßig viel mit Forschung und Studium beschäftigt. Doch ganz im Gegenteil, dieses Semester bot eben so viel Möglichkeit für Erkundungstouren und abenteuerliche Trips durch den Libanon.  So fuhren wir gemeinsam mit Hanna, einer deutschen Freundin, die hier an der Lebanese American University studiert hat, und meinem libanesischen Freund Rami nach Beiteddine, einem wunderschönen, idyllischen Ort in den Bergen südlich von Beirut. Dort besichtigten wir den Palast, bzw. die Festung des Gouverneurs Emir Bashir aus dem 18ten Jahrhundert – ein wunderschöner ottomanischer Gebäudekomplex in schönster Umgebung.

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Weitere Bergerlebnisse waren ein Trip nach Laklouk, neben Faraya ein sehr bekanntes Skigebiet und im Sommer wunderbar nutzbar für ausgiebige Quad-Abenteuer. Dort verbrachte ich den Tag mit einem Freund aus der AUB namens Adam und seinem Cousin Ziad. In der Nähe von Laklouk befindet sich außerdem ein beeindruckender Wasserfall in einem kleinen Ort namens Balua, den wir uns anschauten. Ein Besuch in einem besonders guten Fisch & Mezze- Restaurant in Jounieh direkt am Wasser beendete diesen Trip in besonders genussvoller Art und Weise. 

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Besonders intensive Erfahrungen mit der libanesischen Berglandschaft sammelten Philipp und ich beim Klettern in Amchit. Mein sehr abenteuerlicher und sportlicher Freund namens Jad nahm uns mit zu seinem jüngst entdeckten Kletterspot. In atemberaubender Kulisse krakelten wir mit voller Ausrüstung den Berg hoch. Unsere Kletter-Route sollte die leichteste für Anfänger sein, doch ich muss zugeben im Vergleich zu deutschen Kletterstandarts war dies schon eher Fortgeschrittenenniveau. Meine Beine und Arme waren nach diesem Trip vom Berg gezeichnet (und der Berg war gezeichnet von meiner kleinen Blutspur – keine Angst nur Kratzer), doch allein schon für das Adrenalin und die Aussicht hat sich dieser Trip mehr als gelohnt.

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Auch zu Wasser konnte ich noch zwei sehr schöne Ausflüge unternehmen. Zum Einen fuhr ich mit Adam in eine Art Ferienresort namens „Aqua“, wo sein Cousin ein Chalet besitzt und wo wir am Strand liegen und später mit dem Motorboot rausfahren konnten, um die libanesische Küste bei Sonnenuntergang zu betrachten.

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Ein wenig abenteuerlicher ging es bei unserem Rafting –Trip in die nördliche Gegend des Hermel zu. In einer etwas größeren Gruppe nahmen wir an einer organisierten Raftingtour teil, die uns ermöglichte die wunderschöne Landschaft des Norden Libanons zu entdecken, unsere Teamfähigkeit im Boot zu testen und ein vorzügliches libanesisches Lunch am Wasser zu genießen.

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Zweimal führte es uns in den vergangenen Wochen in den hauptsächlich armenisch besiedelten Ort namens Anjaar in der Bekaa-Ebene. Das erste Mal kamen wir im Rahmen eines „Church visits“, wo wir am Gottesdienst der Armenian Evangelical Church teilnahmen und mitwirkten. Dr. Jacob Hansum, unser Professor für praktische Theologie, hielt die Predigt und Giro und ich sprachen ein wenig über unsere Erfahrungen an der NEST bzw. im Libanon an sich. Außerdem besichtigten wir die Schule inklusive Internat und sprachen mit dem Pastor und seiner Frau über die Aufgaben der Kirche, der Schule und über das Leben, so nah an der Grenze zum konfliktgeladenen Syrien.

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Das zweite Mal machten Kati, Nati, Aren und ich uns nach Anjaar auf, um unseren lieben Freund Hagop zu besuchen, der seit diesem Semester dort in der Schule bzw. im Internat als eine Art Betreuer für die dort lebenden Kinder arbeitet. Der Aufenthalt in diesem idyllischen Dorf war wie Urlaub für uns und wir genossen die ruhige und grüne Abwechslung zum lauten und chaotische Beirut sehr. An diesem Wochenende trafen wir auch noch einmal Herrn Spangenberg, den wir schon einmal Anfang des Jahres hier getroffen hatten, sowie seine Frau und seinen Sohn. Einig waren wir uns am Ende alle, dass ein Leben in diesem Internat nicht gerade einfach sein muss. Die Kinder und Schüler haben einen sehr strengen Zeitplan mit wenig Freizeit und sehr strikten Regeln. Hagop tut alles was er kann, um  das Leben für die Kinder dennoch ein wenig aufzulockern. Wir durften an diesem Wochenende zum Beispiel Teil einer kleinen Barbecue-Party sein und immer wieder versucht er durch Spendengelder Dinge wie Beamer, Dvd-Player oder Soundanlage zu beschaffen, um die Freizeitaktivitäten der Kinder schöner gestalten zu können. Insgesamt bin ich immer wieder beeindruckt, wie genügsam so mancher meiner libanesischen/armenischen Bekannten und Freunde ist. Trotz riesiger Belastung und Non-Stop-Verfügbarkeit, ist Hagop immer positiv, lustig und relaxed und beklagt sich über fast gar nichts. Dass er Familie, Freunde und Freundin nur noch sehr, sehr selten sieht und kaum Freizeit hat, nimmt er einfach so hin und kann trotz alledem unglaublich viel Motivation und Energie für seine Arbeit mit den Kindern aufbringen.

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Weitere Events und Ereignisse, von denen es zu berichten gilt umschließen dieses Mal alle Art von musischen Aktivitäten bzw. Entertainment. Ich bin selbst erstaunt von mir. Weniger von meinem Besuch des AUB Chor Konzertes, der Mozarts wunderschönes Requiem aufführte. Zu klassischen Konzerten bin ich ja schließlich auch schon in Deutschland immer mal wieder gerne gegangen und da zwei meiner Kommilitoninnen mitsangen, war es um so selbstverständlich, dass wir uns diesem Genuss hingaben. Leider können die meisten Libanesen nicht für länger als 10 Minuten stillsitzen ohne ihre blinkenden Blackberrys rauszuholen und zu tuscheln, was die Atmosphäre des Konzertes meist ein wenig zerstört. Dennoch konnte ich die Musik sehr genießen.


Auch der Back-Abend unter Anleitung von Adams Mutter ist nicht ungewöhnlich für mich, denn was ich bei meinem Aufenthalt in Beirut unter Anderem am meisten vermisse ist meine eigenen Küche und die Möglichkeit selbst zu kochen, zu backen und zu schnippeln. Adams Mutter führte mich jedenfalls in die Kunst des Karottenkuchens und der Kokosnuss-Cookies ein.


Neues Terrain betrat ich dann allerdings mit einem Nähkurs bei einer britischen Libanesin namens Leila. Kati und Natalia waren vor mir schon einige Male bei ihr gewesen und so habe ich die beiden in den letzten Wochen zweimal begleitet. Das ganze findet in einer Wohnung statt, die man wohl mit einer typischen Berliner Altbau-Künstlerwohnung vergleichen könnte und dort lernen wir dann in einem Kurs von ca. 4 Stunden wie man Taschen, Röcke oder Laptopbags näht. Dazu serviert Leila frischgebackene Brote oder Kuchen und es ist eine nette und entspannte Atmosphäre. Das Ganze ist ein wirklich gutes Geduldstraining für mich und nach einer solchen Näh-Session bin ich meist auch wirklich kaputt, aber auch glücklich die Resultate meiner Arbeit direkt in den Händen halten und gebrauchen zu können.

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Das abendliche Entertainment hat sich seit Februar ein wenig verändert. Die vielen Abende in den Bars von Hamra sind gemütlichen Käse&Wein-Abenden (danke nochmal an meine Eltern für den großzügigen Import von deutscher Käseware), gemeinsamen Filmschauen auf der Terrasse oder einfach abendlichen Zusammensitzen bei Almazha und Nargileh gewichen. Das Nachtleben von Hamra ist eben auf Dauer doch etwas eintönig, fad und oberflächlich.

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Zu den gewöhnlichen Filmeabenden kam eine besondere Einladung nach Beit Mery in Jacobs wunderschönes Haus in den Bergen. Dort genossen wir erst ein kaltes Buffet, wozu jeder etwas beisteuerte und schauten dann gemeinsam den Film „Memento“. Das Ganze war eine Art Revival unseres letztsemestrigen Kurses „Film and Theology“.

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Außerdem gingen wir zu einer Veranstaltung der AUB unter dem Thema „Rock for Migrant Workers“. Hier wurden Spenden gesammelt und vor allen Dingen Bewusstsein für das sehr delikate und bisher eher verschwiegene Thema der Anstellung von hauptsächlich philippinischen, äthiopischen und bangladeschi Dienstmädchen/ -jungs geweckt. Die Migranten werden meist auf sehr niedrigen Lohnstandards gehalten, fast wie Sklaven behandelt (z.B. in den Häusern der Arbeitgeber eingesperrt, häufig leider auch sexuell missbraucht), sie sprechen kaum ein Wort arabisch und leben insgesamt unter sehr unmenschlichen Bedingungen. Ein Dienstmädchen zu haben gehört allerdings in den meisten libanesischen Familien zum guten Ton, bzw. der Alltag dieser Familien ist auf die Mithilfe dieser Dienstmädchen angewiesen, da die Eltern z.B. beide berufstätig sind und wenig Zeit für Kindererziehung und Hausarbeit haben. Von Betreuungsgeld und KiTa-Plätzen kann hier keine Rede sein….


Vergangenen Sonntag gab es noch ein wenig spirituelles Entertainment - dank Kati, die ihren ersten kompletten Gottesdienst in der deutschen Gemeinde hielt. Nicht nur die wohlbekannten Lieder, sondern auch ihre schöne Predigt und die gesamte Gestaltung der Liturgie haben mir unglaublich gut gefallen und auch eine Art „spirituelles“ Heimweh entfacht. Aber diesem kleineren Problem wird ja schon bald Abhilfe verschafft.

 

Gefahren im Verzug?

Was vermutlich die meisten noch interessieren wird, ist wie ich die gegebene sicherheits-politische Lage im Libanon und speziell in Beirut einschätze. Ich muss zugeben, dass wir hier eine Woche hatten, in der ich ernsthaft Sorge hatte, dass ich meinen Aufenthalt hier in Beirut verkürzen müsste. Es ging los mit der Ermordung eines sunnitischen Scheichs an einem Checkpoint im Norden des Libanons und die darauffolgenden Straßenkämpfe und Schießereien nahe dem Landesmuseum in Beirut. Zwei Tage darauf gab es dann sogar Schießereien im direkt an Hamra angrenzenden Viertel Raouche. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade bei einem Freund im Süden Beiruts, aber Natalia und Kati z.B. waren gerade in Hamra aus, als sie bemerkten, dass sich die Straßen und Cafés langsam leerten und beschlossen, dann auch lieber schnell in die NEST zurückzukehren. Seitdem waren in direktem Umfeld keine größeren Spannungen zu spüren, aber wir hören natürlich jeden Tag von den Krawallen und Kämpfen in Tripoli, die an Intensität und auch an Opferzahl zunehmen. Heute wollen sich Regierungsparteien und Opposition, die sich hauptsächlich in die Lager „March 8th“ (Pro-Syrien) und „March 14th“ (gegen Syrien) aufteilen zusammensetzten um über sicherheitspolitischen Lage  zu diskutieren. Alle Politiker betonen immer wieder, wie wichtig in dieser Situation der Dialog zwischen den verschiedenen Parteien ist, um ein Übergreifen der syrischen Konflikte auf den Libanon zu verhindern. Es hilft wohl nichts anderes als abzuwarten. Die einzige unmittelbare Sorge ist für mich nun, dass meine Pläne für eine Überfahrt von Tripoli nach Mersin (Südtürkei) mit der Fähre durchkreuzt werden könnten. Allerdings denke ich, dass sofern wir uns nicht in Tripoli selbst aufhalten und nur den Hafen anpeilen, keine unmittelbare Gefahr gegeben ist. Die Libanesen schätzen die Lage meist sehr gelassen ein. Sie haben eben alle schon ganz andere Dinge in diesem Land erlebt… Ich lasse mich von dieser Gelassenheit anstecken und versuche natürlich trotzdem die ausgewiesen gefährlichen Gegenden (vor allem im Norden des Libanons) zu meiden.

 

 

Nun bleiben mir tatsächlich nur noch 3 ½ Wochen im Libanon, bevor ich mich auf eine kleine Reise in die Türkei begebe, um dann Mitte Juli von Istanbul nach Frankfurt zurückzukehren. Die nächsten Wochen sind gefüllt mit schönen Freizeitaktivitäten und Abschiedsfestlichkeiten. Am Freitag machen wir noch einmal alle gemeinsam einen kleinen Ausflug nach Anjaar, wo wir mit armenischem Barbecue verwöhnt, eine kleine spielerische Jahresevaluation durchführen und evtl. etwas wandern werden. Außerdem müssen wir natürlich noch einmal alle unsere Lieblingsspots - will meinen: Restaurants, Cafés, Viertel usw. - abgrasen. Am 23. Juni ist schließlich unsere Graduation-Party und in der Nacht zuvor werden bereits meine Schwester Janina und Scholli hier eintrudeln. Ich freue mich schon riesig auf diesen Besuch und werde wohl gemeinsam mit ihnen noch einmal die schönsten Flecken des Libanons besuchen.  Schon seit mehreren Wochen herrscht in der NEST eine gewisse melancholische Endzeitstimmung. Wie ich finde sind wir alle gerade in der letzten Zeit noch einmal mehr zusammen gewachsen.  Auch wenn ich mich unheimlich auf meine Rückkehr nach Deutschland, auf Familie, Freunde, meine anstehendes Gemeindepraktikum in Frankfurt und meine kommende Studienzeit in Mainz freue, kann ich nur auf diese Weise enden:

انا رح اشتق بيروت            (Ich werde Beirut vermissen!)

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