السنة الجديدة - رواية جديدة (Neues Jahr - Neue Geschichten)
Mein letzter Bericht lässt sich auf die Mitte des letzten Monats zurückdatieren. Zeit für ein Update:
Zunächst einmal zum Verlauf der restlichen Adventszeit: Eines der wichtigsten Erlebnisse war sicherlich mein erster Trip in die schneebedeckten Berge des Libanons - nach Faraya Mzaar. Da noch relativ früh im Jahr – der libanesische Winter hatte noch nicht so recht begonnen – war die Skisaison am 17.Dezember noch nicht offiziell eingeläutet, sodass unsere Skitruppe, bestehend aus Philipp, mir und unseren Wanderfreunden aus Qadisha Valley, auf den Komfort von Skiliften verzichten musste. Ski-Touring nennt sich diese Aktivität hier. Man krakelt also mit dem nötigen Equipment mit eigener Mannes- oder Weibeskraft etwa 1 ½ Stunden den Berg empor, um sodann für ca. 3 Minuten die Abfahrt zu genießen. Leider hatten wir uns für diese Unternehmung einen Tag mit denkbar ungünstiger Wetterlage ausgesucht, sodass wir Schwierigkeiten hatten bei dichtem Nebel, nicht nur die Hand vor Augen, sondern auch die Piste unter den Füßen zu finden. Es war eine schöne erste Schneeerfahrung – Abfahrtski wird wohl für mich dennoch immer den Vorzug bekommen.
Für jene körperlichen Anstrengungen wurden wir am Abend von Familie Sabra mit einem wundervollen weihnachtlich-libanesischen Buffet belohnt.
Die letzte Woche vor Heilig Abend war von vielen, zum Glück nur temporären Abschieden bestimmt. Am Mittwoch den 21. Dezember versammelten sich noch einmal fast alle NEST-Bewohner, Studenten und Mitarbeiter zu einem Weihnachtsgottesdienst inklusive Predigt von unserem lieben armensichen Kommilitonen Hagob und Gesängen des eigenen NEST-Chors und einem anschließenden Weihnachtsessen. Eine erste Einführung in die Kunst des (typisch-libanesischen) Dabke-Tanzes und schwingende Tanzbeine zu schottischen Rhythmen beendeten diesen Abend. Nach dem Event brachen die meisten dann so langsam Richtung deutscher/ dänischer/ armenischer Heimat auf und unser Maison-du-Beton leerte sich peu a peu.
Für den Heilig Abend, fern von den familiären heimatlichen Gefilden, hatten Elly und ich uns entschieden unseren Mitbewohner Aren nach Byblos zu seiner Tante und deren Familie zu begleiten. Erwartet hatten wir so etwas wie ein festliches Abendessen, wie wir es von zu Hause kennen, doch tags zuvor stellte sich dies als Trugschluss heraus. Geplant war lediglich ein kleiner Besuch in Byblos zum Lunch. Ein wenig verzweifelt – ohne schönen festlichen-feierlichen Plan für den diesjährigen Heilig Abend – riefen wir dann noch in aller libanesischen Spontanität bei unserem Dekan George Sabra an und klagten ihm unser Leid. Ohne viel Verzögerung wurden wir mit einer Einladung für den kommenden Abend zu unserem Kirchengeschichtsprofessor Habib Badr versorgt.
Am Morgen des 24ten brachen wir also zunächst wie geplant in schlecht-möglichstem libanesischen Regenwetter nach Byblos auf, besuchten Arens Familie, die Altstadt, tranken Kaffee mit Bodo (danke Janina und danke Globalisierung für diese Bekanntschaft) und nahmen unser versprochenes Mittagessen im Hause von Arens Tante ein. Eine interessante Begegnung, nicht nur weil uns, wie es doch in so manchen deutschen Haushalten Heilig-Abends-Tradition ist, Kartoffelsalat serviert wurde, sondern auch dank der interessanten Visions- und Glaubensberichte. Wir wussten zwar zuvor, dass Arens Familie in evangelikal-missionarische Kreise involviert ist, mit derart detaillierten Bekehrungsberichten hatten aber selbst wir nicht gerechnet. Für mich eine sehr ambivalente Erfahrung – einerseits aufregenden, andererseits abschrecken, vor allem mit dem Hintergrundwissen, dass eben diese immer noch mit voller Überzeugung evangelisierenden, protestantischen Bewegungen jeglichen ökumenischen Anstrengungen der sogenannten „ecumenical Protestants“ im Libanon (Lutheraner, Presbyterianer, Kongregationalisten) im Wege stehen. Jene Evangelikalen erkennen Gläubige anderer Denominationen, ob griechisch- oder orientalisch-orthodox, immer noch nicht als wahre Christen an und hegen weiterhin einen Bekehrungsanspruch, der meiner Meinung nach einem harmonischen Zusammenleben der vielen religiösen Gruppierungen im Libanon hinderlich ist.
Der totale Kontrast zu diesem Treffen in Byblos erwartete uns am Abend im Hause der Pfarrersfamilie Badr. In einer Runde von ca. 20-30 fröhlichen, gute gelaunten, festlich angezogenen Familienmitgliedern von Badr`s und Sabra’s, alle versammelt im protestantischen Pfarrhaus in Downtown, durften wir schöne Christmas-Carols trällern, uns an einem vorzüglichen Buffet mit riesen Truthahn und allerlei anderen Leckereien bedienen und Santa Clause bei seiner Arbeit beobachten. In seinem Gabensack fand sich sogar eine Aufmerksamkeit für Elly und mich. Mehr als zufrieden und glücklich kehrten wir dann gegen Mitternacht in die NEST zurück und waren froh in letzter Minute doch noch eine Heilig-Abend-Beschäftigung gefunden zu haben, die die Ferne von der eignen Familie und die Abwesenheit der üblichen familiären Weihnachtstraditionen zu kompensieren vermochte.
Die Weihnachtstage verliefen relativ unspektakulär. Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages besuchten Elly und ich den englisch-sprachigen Gottesdienst im Untergeschoss der Kirche von Pastor Badr. Der pfingstlerisch angehauchte Gottesdienst mit Vorstellungsrunde und fragwürdiger Liturgie ließ das Fremdheitsgefühl wieder etwas ansteigen und auch der Fakt, dass ich jene Feiertage nicht in geselliger Familienrunde mit gutem mütterlichen Essen, Spiele- und Diskussionsabenden verbachte, sondern an meiner Hausarbeit weiterarbeitete, ließ zugebenermaßen ein wenig Heimweh aufkommen.
Am 27. Dezember durfte ich dann aber noch Johnny, meinen Dozent für Neues Testament, zu einem Mittagessen bei Silvie, NEST-Dozentin für Systematische Theologie, und ihrer Familie begleiten und spannenden Einschätzungen und Prognosen für das derzeitig syrische Dilemma lauschen. Wer steht nun hinter den Anschlägen? Regime, Opposition, der Westen?
Die letzten Tage des Jahres 2011 verbrachten Elly, ihre Freundin Krissi aus Deutschland und ich mit einem erneuten Besuch in Tripoli. Wir spazierten hauptsächlich durch die Souqs und trafen uns mit Achmad, den wir bei unserer letzten Autopanne in Tripoli kennengelernt hatten, zum Mittagessen, das ein großes Angebot an Mezze (libanesische Vorspeisen) für uns bereit hielt. Nach Sonnenuntergang fuhren wir dann weiter in nördliche Richtung nach Minyara, nahe an der syrischen Grenze gelegen, um dort unseren Dozenten für Altes Testament Hadi und seine zu diesem Zeitpunkt noch schwangere Frau Anna zu besuchen. (Der kleine Mikhael hat mittlerweile etwas früh, aber gesund und munter das Licht der Welt erblickt)
Die Fahrt dorthin war aufgrund der schlecht ausgebauten Straßen und der Dunkelheit nicht gerade unbeschwerlich, vor allem weil wir kontinuierlich das mulmige Gefühl hatten bereits die syrische Grenze überschritten zu haben. Letztendlich kamen wir aber wohlbehalten in dem kleinen Örtchen an, wurden von Anna mit einem wunderbaren Abendessen versorgt und ließen den Abend mit Glühwein ausklingen.
Am nächsten Tag brachen wir dann nach Harissa auf, das oberhalb von Jounieh gelegen ist und bei schönem Wetter einen tollen Blick über Beirut bieten kann. Leider war es etwas diesig, sodass Beirut nicht sichtbar war, für die prachtvolle Griechisch-Katholische Basilika St. Paul mit beeindruckender Ikonenmalerei hatte sich die Fahrt aber dennoch gelohnt.
Den Silvesterabend begannen Elly, Krissi, Omar (Ellys Tandempartner) und Ich mit einem guten Abendessen in einem italienischen Restaurant um die Ecke und zogen dann weiter zu Freunden von Omar. Begleitet vom Geigenspiel Omars und arabischen Gesängen seiner Freunde feierten wir ins neue Jahr hinein. Um kurz nach Mitternacht machte ich mich dann noch zu meiner Lieblingsbar Jackie O‘s auf, wo ich auch auf einige NEST-Kommilitonen traf. Den Abend/Morgen ließen wir in der Wohnung von Ismael im Süden Beiruts mit Wein, Käse und Tanz ausklingen.
Die ersten Tage des neuen Jahres verliefen einigermaßen ruhig. So langsam trudelten alle Verreisten wieder ein, wir besuchten ein armenisches Weihnachtskonzert in der Haigazian Universität und ich fuhr erneut mit Dory und Jad nach Faraya um dort einen sonnigen Skitag, diesmal inklusive Lift, Skihütte und allem was dazugehört, zu verbringen. Zwar gab es auf der Hütte keinen Germknödel oder Kaiserschmarn – dafür aber Wasserpfeife und Tabouleh.
Am 6ten Januar, dem Tag an dem (katholische und protestantische) Armenier ihr Weihnachten feiern, holten wir (Elly, Natalia, Krissi, Aren, Kathi und ich) unsere eigene kleine Weihnachts-/Bescherungsfeier nach.
Am 09. Januar ging der Unibetrieb so langsam wieder los und wir starteten unseren Kirchengeschichtskurs sogleich mit einem Besuch des Erzbischofs der Melkiten (Griechisch-Katholisch) Cyril Salim Bustros. Eine fröhlich und aufgeweckte Persönlichkeit, die uns davon erzählte, wie er einem jüdischen Gesprächspartner einst klar zu machen versuchte, dass Gott kein „Real Estate Agent“ ist, der Land an auserwählte Völker verteile und die Aufgabe der Christen im Libanon darin sah, den Muslimen beizubringen, dass sie keine Extremisten sein können und dürfen.
Am Mittwoch ging ich dann zusammen mit meinem Tandempartner Mohammad zu einem Vortrag eines ehemaligen Protestantischen Pastors aus Texas namens Yusuf Estes, der zum Islam konvertiert ist. Der Vortrag, oder besser Propagandarede, fand in einer sunnitischen Moschee statt. Die Reihen waren gefüllt von Muslimen, ob jung ob alt, ob konservativ oder progressiv, natürlich nach Geschlechtern getrennt. Ich saß neben einer jungen AUB-Studentin (American University), die mir berichtete wie interessant doch seine vorherigen Vorträge bisher gewesen seien und einem etwas jüngeren (Schul-)Mädchen, das mir die Adresse der eigens erstellten Homepage (www.beinparadise.webs.com) zusteckte, mit dem Hinweis, dass ich dort doch einiges über Muslime und den Islam rausfinden könne.
Was ich von Yusuf Esters erwartete, war ein Bericht über seine Konversion, über Ursachen und Hintergründe – was ich bekam war eine Ansprache mit dem Titel „Wake up, Muslims!“: Ein Aufruf an alle Muslime zur Rückbesinnung auf den Kern des islamischen Glaubens. Yusuf Estes, der vor seiner derzeitigen Profession in der Medien-/Televisionsbranche tätig war, schien mir mehr Komödiant als Theologe zu sein und hatte sein Publikum mit unreflektierten, oberflächlichen Geschichtchen und Anekdoten im Griff. Wie ich später las, ist er Teil einer Bewegung, die sich Da‘wah nennt und deren erklärtes Ziel die Evangelisierung des Islamischen Glaubens ist. (Videos auf YouTube sind zahlreich, z.B. http://www.youtube.com/watch?v=uu0IVh1L4Ek)
Ein weiteres Erlebnis in Sachen populistischer Propaganda war unser samstäglicher Besuch des Hizbollah Museums in Mleeta. Wieder einmal mit gemietetem Auto fuhren wir mitten in die Pampa der Berglandschaft hinter Sidon, um uns dieses Museum ganz anderer Art anzusehen. Wann immer wir ein Plakat oder ein Schild sahen, das Waffen oder sonstiges Kampfmaterial zeigte, jubelten wir, weil es bewies dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden. Es war definitiv Museumswetter – Nebel, Regen, Kälte – nur leider war alles Spannende und Sehenswerte (außer dem Propagandafilmchen zur Einstimmung zu Beginn der Führung) im Freien gelegen. Der Nebel und die Nasskälte gaben dem ganzen aber eine ganz besondere Atmosphäre. Bei Mleeta handelt es sich um einen ehemaligen Spot der Armee der Hizbollah, genutzt im Krieg gegen „den Feind“ Israel. Es besteht aus einer Höhle, die die aufopfernde und furchtlose „Jugend“ mit eigenen Händen und ohne viel Werkzeug einst gegraben hatte, um sich vor den Angriffen der israelischen Armee zu schützen und um das libanesische Staatsgebiet gegen die Eindringlinge zu verteidigen. Neben der Besichtigung dieser Höhle konnte man die Pfade abschreiten, die einst durch den Dschungel führten und heute von Panzern, Raketenwerfern und sonstigem Kriegsmaterial zur Schaustellung gesäumt sind. Sowohl im Propagandafilm (mit Allahu Akbar-Rufen als Hintergrundmusik) als auch in der Rede des Museumsführers erfuhren wir, dass die jungen, furchtlosen Soldaten immer nur aus Verteidigungszwecken gehandelt haben und in ihrer Vorgehensweise eine unglaubliche, stoische Kraft und Durchschlagsfähigkeit entwickelt haben, sodass sie sogar den schier unzerstörbaren israelischen Panzern die Stirn bieten konnten. Jeder Besucher des Museums wurde instruiert dieses Wissen weiter zu tragen - nach Europa, Amerika und wo auch immer man herkam. Fotos und Videos waren sehr willkommen. Die Führung begingen wir gemeinsam mit einer Familie mitsamt kleinen Kindern. Ausflugsziel für das samstägliche Familienabenteuer: das Hizbollah-Museum. Wie idyllisch. Zum Abschluss unseres Besuchs machten wir noch eine kleine Shoppingtour durch den Souvenirladen und rüsteten uns mit Koran-Ketten und Hizbollah-Armbändern aus. Bemerkenswert, dass man diesen erschreckenden Erlebnissen meist nicht anders als mit purem Sarkasmus zu begegnen weiß.
Sidon selbst betraten wir aufgrund des regnerischen Wetters nur um heißer Schokolade, Falafel und Auffüllung der Nussration willen. Ein ausgiebiger Spaziergang durch die dortigen Souqs muss wohl noch ein wenig auf sich warten lassen.
Bevor Natalia, Elly und ich am 30.Januar schließlich für eine zehntägige Reise nach Jordanien aufbrechen, erwartet uns zunächst die sogenannte Examenswoche, die aber nur eine Klausur in Kirchengeschichte und eine Präsentation in Islamwissenschaft umfasst. Alle restlichen Ausarbeitungen und Hausarbeiten sind bereits in trockenen Tüchern und einem entspannten Urlaub steht nahezu nichts mehr im Wege! Inshallah!
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich nochmal sehr bei meiner lieben Janina und allen Freunden bedanken, die mein Weihnachten mit einem Gruß/Foto etwas heimatlicher und wohliger gemacht haben! Ich war überglücklich, dass mich dieses höchst verdachtserregende Datenmaterial trotz des Argwohns der libanesischen Post-/Zollbeamten erreicht hat! (Alles Essbare wird nämlich für gewöhnlich irgendwo auf dem Postwege verzehrt.)
Liebsten Dank!